Heute mit der Barock-Akademie 2022 – «Europa tanzt!»
Europa tanzt! Ausgehend von Frankreich dominierte im Barockzeitalter neben der Oper das Ballett als beliebteste musikalische Gattung. An sämtlichen Höfen Europas tanzte man bei allen möglichen Anlässen: Banketten, Karnevalsfeiern, Serenaden und Empfängen. Viele der damaligen Komponisten nahmen Ballette zum Anlass, humorvolle Werke zu verfassen. So singt z.B. in Bibers „Nachtwächterserenade" ein betrunkener Nachtwächter, Heinrich Schmelzer illustriert in seiner Serenade „Die Pauern Kirchfahrt“ eine rustikale, sonntägliche Wallfahrt. Ein ungemein beliebtes Tanzmodell im Barock war die „Folia“ (die „Verrückte“) und auch Antonio Vivaldi verfasste eine besonders virtuose „Folia“. Humor zeigt der venezianische Komponist in seinem Concerto „Il Proteo o sia il mondo al roverescia“, in dem er einfach die Stimmen vertauscht: Die tiefen Streicher spielen über den hohen Streichern!
"Barockmusik in Vollendung" so beschreiben die die Schaffhauser Nachrichten im August 2021 das Konzert der Barock-Akademie der Höri Musiktage. Zum dritten Mal wird im August 2022 die Barock-Akademie der Höri Musiktage unter der Leitung von Petra Müllejans stattfinden.
In diesem Jahr nehmen 18 Akademistinnen und Akademisten teil, die sich im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung beworben hatten. Sie erarbeiten, in historisch informierter Aufführungspraxis, das folgende Programm:
Heinrich Schmelzer (1623 – 1680): Serenata con altre arie
Heinrich Schmelzer: Sonata à 6 „Die Pauern Kirchfahrt“
Antonio Vivaldi (1678 – 1741): La Folia
Georg Muffat (1653 – 1704): Sonata Nr. 5
Heinrich Schmelzer: Balletti triplices aus „Baldracca“ von Antonio Cesti
Antonio Vivaldi: Concerto für Violine und Violoncello „Il Proteo o sia il mondo al rovescio“
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 – 1704): Nachtwächterserenade
EUROPA TANZT – Spiel, Spaß und Witz im Barock
Als der französische König Ludwig XIV. am 23. Februar 1653 im Rahmen des legendären „Ballet de la nuit“ als tanzender Apollo die Bühne betrat, machte er unmissverständlich klar: Er ist die Sonne Frankreichs und der ganze (Hof-)Staat hat sprichwörtlich um ihn herumzutanzen. Somit wurde das Ballett nicht nur zur bedeutendsten Kunstform in Frankreich, sondern auch zu einem politischen Instrument. Ludwigs Hofhaltung glich einer hierarchischen Choreographie, an deren Spitze der Sonnenkönig selbst stand.
Im übrigen Europa blieb diese Form des Herrschens nicht unbemerkt. Von Bewunderung und Argwohn gleichermaßen angetrieben, versuchten die anderen Monarchen Europas, ihren Hof nach dem Vorbild Frankreichs zu organisieren; so auch die österreichischen Kaiser, die mit dem französischen Monarchen um die politische Vormachtstellung in Europa konkurrierten. Doch während man in Frankreich bestrebt war, die Musik vor äußeren Einflüssen zu bewahren, setzte man in Österreich auf Musiker, die die italienische Tradition pflegten. Einige italienische Komponisten wurden an den Kaiserhof geholt, um die heimischen Musiker auszubilden, darunter Giovanni Felice Sances, Antonio Cesti oder Antonio Bertali. Letzterer war vermutlich ein Lehrer von Johann Heinrich Schmelzer. Schmelzer, der 1623 im niederösterreichischen Scheibbs geboren war und über dessen Ausbildung nur wenig bekannt ist, war spätestens ab 1636 als Violinist am Hofe Leopolds I. tätig und arbeitete sich kontinuierlich an die Spitze der Hofkapelle. Deren Kapellmeister wurde er 1671 nach dem Tod von Sances. Schmelzers Werk besteht zum großen Teil aus Sonaten, Serenaden und Balletten, die häufig bei Opernaufführungen gespielt wurden. Schmelzer starb 1680 an der Pest in Prag.
Musikwissenschaftler vermuten, dass Schmelzer die Ausbildung von Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704) verantwortete. Dieser stammte aus Böhmen und es wird angenommen, dass er um 1660 nach Wien kam, bevor er erst Kapellmeister in Olmütz, dann bei Erzbischof Max Gandolf von Kuenberg in Salzburg wurde. Ganz in der Tradition Schmelzers schuf Biber neben geistlicher Musik zahlreiche Orchesterwerke mit Tanzcharakter. Auch humoristische Kompositionen sind erhalten, darunter die Serenade „Die Pauern Kirchfahrt“, in der Biber eine bäuerliche Wallfahrt zu einer auf einem steil ansteigenden Berg liegender Kirche illustriert. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte „Nachtwächter-Serenade“, in der zum Schluss eine filigrane Ciaccona (ebenfalls ein Tanz) erklingt, während ein angetrunkener Nachtwächter die Bürger zum nach Hause gehen aufruft.
Als Biber sich in Salzburg niederließ, erreichte ein junger Franzose die Stadt: Georg Muffat (1653–1704), der in Paris studiert hatte. Muffat suchte eine Anstellung und der Salzburger Erzbischof gab ihm eine Arbeit als Domorganist; außerdem ermöglichte er dem Komponisten ein Orgelstudium in Rom. Muffat war ein musikalischer Grenzgänger zwischen Frankreich und Italien, was auch an seiner 5. Sonate aus der Sammlung „Armonico Tributo“ zu hören ist. Während die ersten vier Sätze der Sonate mit ihrem feinen Kontrapunkt und der Streicherinstrumentierung auf Italien verweisen, verneigt sich die breit angelegte, elegisch-elegante Chaconne (eine französische Form der Ciaccona) vor seinem Heimatland.
Das Habsburgerreich zog Komponisten aus ganz Europa an, um dort Karriere zu machen. Doch nicht alle hatten Glück und konnten dort Fuß fassen. Einer, der in Wien scheitern sollte, war Antonio Vivaldi. Über viele Jahrzehnte hinweg war Vivaldi (1678–1741) der unangefochtene Star in Venedig. Doch um 1730 wandelte sich der Musikgeschmack in der Lagunenstadt und Vivaldis Musik fand immer weniger Liebhaber. So entschloss er sich, nach Wien zu reisen, um dort seinem Ansehen zu neuem Glanz zu verhelfen. Vergebens: Die Wiener schenkten ihm keine Beachtung und er starb dort am 28. Juli 1641. Von ihm hören wir zwei Werke: seine Sonata „La Folia“ („die Verrückte“), die auf einem feurigen-virtuosen Tanzmodell aus Portugal basiert, und sein Concerto „Il Proteo ossia il mondo al rovescio“ („Proteus oder die Welt steht Kopf“). Die Welt steht in diesem Concerto tatsächlich auf dem Kopf, denn Vivaldi notiert die Solovioline im Bassschlüssel, das Solocello im Violinschlüssel. So können die Solisten einfach die Stimme tauschen und ihre Soli auf den Kopf stellen. Vivaldi überlässt ihnen diese Entscheidung selbst, indem er im Vorwort schreibt: „Die Violinsoli werden sämtlich eine Oktav höher gespielt. Der Sologeiger kann aber auch die Soli des Violoncellos spielen und umgekehrt der Cellist die Soli der Violine, so wie sie stehen.“
Eintritt: 25.- EUR
Weitere Informationen unter https://www.hoeri-musiktage.de